Auf Augenhöhe

AugenhoeheWarum sollte ich dem da auf der Bühne zuhören? „Weil er so ein selbstgerechter Affenhintern ist!“ Nein! Ich glaube, das wird wohl niemand so sehen. Sympathischen Menschen hören wir dagegen gerne zu. Zwar spielt bei Sympathie Vieles eine Rolle, wie Charme, Ausstrahlung und Aussehen. Aber das alles ist nie so wichtig, wie die Augenhöhe.

Moderator

Für mich beginnt der erste Augenhöhe-Moment, noch bevor der Redner die Bühne betritt. So wie der Moderator den Redner ankündigt, ist auch deren Beziehung. Was wird der Moderator beispielsweise erzählen, wenn es vorher keinen Kontakt zwischen den beiden gab? Zumindest nichts Persönliches. Ein paar Fakten über die Biographie des Redners und vielleicht ein kleiner Ausblick, über den Vortrag. Gähn! Das weiß ich doch schon aus dem Internet! Dumm, wenn der Moderator auch nicht mehr weiß als sein Publikum.

Ganz schlimm sind auch die Ankündigungspamphlete, die Redner dem Moderator in die Hand drücken, um ihn anzukündigen. Jedem ist klar: Das sind nicht die Worte des Moderators, sondern das Marketinggewäsch der PR-Abteilung des Redners, also seiner Frau.

Wie anders klingt dagegen folgende Moderation: „Auf den Redner des Abends freue ich mich heute besonders. Wir haben in den letzten Tagen häufig telefoniert und ich habe das Gefühl, ihn schon mein halbes Leben zu kennen. Das mag aber auch daran liegen, dass er inzwischen einen Preis verliehen bekommen hat, mit einer Autopanne auf der Straße liegen geblieben ist und mir sein Rezept für die beste vegetarische Lasagne verraten hat, die ich je gegessen habe. Ja, ich spreche von Niemanden anderen als ….“

Solche Moderation bekommen wir nur, wenn wir uns tatsächlich die Zeit genommen haben, uns mit dem Moderator intensiv auszutauschen. Nach einer solchen Ankündigung ist jedem Zuschauer sofort klar, hier kommt gleich ein sympathischer Mensch auf die Bühne.

Kann der Redner dann noch etwas falsch machen? Leider ja! Denn als nächstes kommt ja die so sympathisch angekündigte Person auf die Bühne. Der Moderator hat Erwartungen geweckt. Der Redner muss sie erfüllen oder besser noch übertreffen.

Auftreten

Wir müssen dem Redner ansehen, dass er sich augenscheinlich freut, vor das Publikum zu treten. Kennen Sie diesen Satz: „Ich freue mich heute, zu Ihnen sprechen zu dürfen.“ Ja? Den Satz sollten Sie vergessen! Wer das sagen muss, hat schon verloren. Hier ist Körpersprache gefragt. Wir wollen keine Lippenbekenntnisse, wir wollen mit eigenen Augen sehen, dass der Redner sich auf uns freut.

Gleichzeitig darf er den Moderator nicht vergessen. All die netten goldenen Worte verwandeln sich in Blei, wenn der Redner es an Dankbarkeit, Respekt und Freundlichkeit fehlen lässt. Auch wenn es schwer fällt. Beim Betreten der Bühne kommt erst der Moderator und dann das Publikum. Gute Manieren sind Teil der Kommunikation. Wir dürfen eines nicht vergessen. Der Moderator ist trotz seiner hervorgehobenen Position „einer von uns“. Er vertritt das Publikum.

Augenhöhe bedeutet das Gegenteil von sich hetzen Lassen. Wir gehen mit Freude und Selbstvertrauen auf die Bühne, weil wir etwas Wichtiges zu sagen haben. Wir nehmen uns Zeit für den Moderator und wenden uns dem Publikum zu. An diesem Punkt wird etwas wichtig, was die meisten nicht wissen: Die Zündschnur des Publikums. Bevor das Publikum dem Redner tatsächlich folgen kann, vergehen 4 Sekunden. Jedes Wort, was wir vorher von uns geben ist quasi verloren.

Mit anderen Worten: Wenn wir Ruhe und gute Manieren auf die Bühne bringen, haben wir bereits viel für die richtige Augenhöhe getan.

Sprache

Ich erinnere mich noch an einen jungen Professor, der all das richtig gemacht hat. Ich war wirklich gespannt, was er mir zu sagen haben würde. Doch kaum hatte er den Mund aufgemacht, musste ich mich gehörig anstrengen. Denn der Physiker sprach ganz offensichtlich eine fremde Sprache: Die Fachsprache seiner Zunft.

Nach einigen Sätzen bemerkte er das Unverständnis, das sich in unseren Gesichtern abzeichnete. Für mich hätte er ebenso in klassischem Griechisch sprechen können. Ich kann heute nichts mehr davon wiederholen. Anderen ging es wohl genauso. Also übersetzte er für uns das zuvor Gesagte: „Für die Nichtphysiker unter Ihnen. Ich spreche heute in meinem Vortrag darüber, wie das Licht unsere Computer der Zukunft revolutionieren wird …“ Hätte er das nicht gleich so sagen können? Zugleich setze er dieses herablassende Gesicht auf, das aussagte „jetzt kommt die Version für Dummies“. Ich habe in diesem Moment körperlich gespürt, wie ein kalter Wind durchs Publikum wehte. Der Mann war in diesem Moment für uns gestorben.

Zum Thema Fachsprache hat der Autor Lee Lefever (http://leelefever.com) einmal etwas sehr Gutes gesagt: Entweder der Redner macht einen auf schlau oder sein Publikum wird schlau.

Ein guter Redner legt sich außerhalb seiner Expertise eine Sprache zu, die ohne Fremdworte auskommt und trotzdem kompetent klingt. Der Experte Ralf Lengen (http://www.meistertricks.de) spricht gerne von Leserliebe, wenn wir unsere Sätze kurz, prägnant und verständlich niederschreiben. Beim Reden drückt unsere Sprache die Liebe zum Publikum aus. Nicht selten sprechen wir über komplexe Sachverhalte. Da müssen wir das Verständnis nicht noch zusätzlich durch Expertensprache erschweren.

Weltsicht und Toleranz

Augenhöhe bedeutet, eine Beziehung herzustellen. Sprache ist ein Teil davon. Allerdings müssen wir darüber hinausgehen. Augenhöhe bedeutet auch Respekt. Jeder Zuschauer hat seine eigene Weltsicht. Mancher Redner scheint davon auszugehen, dass ich seine Sicht teilen muss und wenn nicht, dann habe ich Pech gehabt.

Augenhöhe bedeutet hier, dass wir dem Publikum die Entscheidung zugestehen, ob es uns folgen will oder nicht. Die Präsentationsexpertin Nancy Duarte (http://www.duarte.com) sieht den Redner in der Rolle des Mentors, der sein Publikum an die Schwelle zur Entscheidung führt. Ich finde, diese Sicht hat etwas Reizvolles. Denn wenn meine Argumente gut sind und mein Publikum mich mag, ist die freie Entscheidung die sympathischste Art, meinen Vortrag zu beenden.

Motivation

Jeder im Publikum hat Wünsche und Ängste. Was passiert mit der Augenhöhe, wenn wir uns damit nicht ernst genommen fühlen? Ganz klar, Wünsche und Ängste sind unsere Motivatoren. Etwas anderes interessiert uns nicht. Was der Redner sagt, geht uns dann also am Allerwertesten vorbei.

Augenaufschlag

Augenhöhe ist nichts Statisches. Ein guter Redner sorgt dafür, dass sich sein Publikum am Ende seiner Rede in einem besseren Licht sieht, als zuvor. Jüngstes Beispiel: In seiner Rede anlässlich des Referendums über Ja oder Nein zu den Sparauflagen der Troika, erklärte der Griechische Ministerpräsident seine Zuhörer zu Rettern der Demokratie, dem Griechischen Geschenk an die Menschheit. Nachdem seine Landsleute sich seit Jahren von der Welt klein gemacht fühlen, musste sich diese Rede wie Balsam für die Seele anfühlen. Tsipras Zuhörer sind mit einem geringen Selbstwertgefühl auf den Syntagma-Platz gekommen und fühlten sich beim Gehen wie die Retter der Menschheit. Man mag über seine Politik denken was man will, aber als Redner bewegt der linke Volkstribun den Olymp.

Das Wir ist die Rede

Augenhöhe ist wichtig. Denn sie definiert die Beziehung zwischen Redner und Publikum. Das Ideal ist das „Wir“, wenn die Person auf der Bühne „einer von uns“ ist.

Was im persönlichen Dialog ein Kinderspiel ist, erfordert vom Redner Vorbereitung und Training. Gelingt es uns, dann werden wir mit der Liebe unseres Publikums bezahlt und das ist ein Erlebnis, was niemand vergisst.

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