Die sieben grauenhaftesten Geschichtenerzähler

Es gibt wahrscheinlich nichts, was bei Publikum und Rednern so beliebt ist wie Geschichten. Es gibt allerdings auch nichts, was an die Zumutung eines schlechten Geschichtenerzählers heranreichen würde. Deshalb an dieser Stelle sieben Erzählertypen, die keiner hören oder sehen möchte:

1. Der Historiker

Er muss alles so erzählen, wie es tatsächlich war. Bei ihm gibt es kein High Noon um 12 Uhr Mittags sondern er führt das Gespräch mit seinem Kollegen um 14:32 Uhr an einem Dienstag im Juni. Der Dialog entwickelt sich auch nicht in wenigen Momenten zu einem heißen Konflikt. Stattdessen erzählt er davon, dass man sich erst auf den neuen Meetingtermin mit dem Kunden einigte, bevor er das Thema der problematischen Zusammenarbeit anspricht. Zur Richtigkeit gehört für ihn auch, dass der Streit sich über mehrere Treffen entwickelte, bis er es schließlich aufgab. An dieser Stelle ist das Publikum bereits im Tiefschlaf.

2. Der Detailversessene

Details sind ihm wichtig. Deshalb erfahren wir auch, das der Mann in der Straßenbahn, der ihm gegenüber saß, die preiswerten Schnürsenkel von einem indischen Hersteller trug. Die halten aber nicht viel aus. Der Mann in der Straßenbahn hat nichts mit der eigentlichen Geschichte zu tun. Denn die ereignet sich erst beim Besuch der Oper. Bis dahin erfahren wir viel über die Innenstadtarchitektur, die völlig falsch platzierten öffentlichen Uhren und natürlich die rücksichtslosen Hundebesitzer, die ihren besten Freund überall hin machen lassen. Man wundert sich, wie es der Erzähler überhaupt eines Tages bis zur Oper geschafft hat. Unsere Aufmerksamkeit kommt jedenfalls nicht bis dahin.

3. Der Berichterstatter

Ihm geht es vor allen Dingen um die Fakten. Er fährt einen Leihwagen. Vor ihm gibt es einen Unfall, weil ein Tier über die Straße gelaufen ist. Die Polizei war schnell da. Trotzdem musste unser Erzähler eine gute halbe Stunde im Stau warten. Das klingt so interessant, wie einer Wasserlache beim Trocknen zuzusehen. Was wir nicht erfahren: Der Erzähler fährt einen Lamborghini Gallardo, mit ihm im Flitzer sitzt das amerikanische Supermodell Naomi Campbell*. Das Ergebnis eines Preisausschreibens. Als eine aus dem örtlichen Zoo ausgebüchste Giraffe über die Fahrbahn läuft, krachen die zwei vorausfahrenden Autos ineinander. Der richtige Moment für Naomi, auszuflippen und die beiden Unfallfahrer mit ihrer Louis Vuittontasche windelweich zu prügeln. Erst die Polizei bekommt die Lage wieder in den Griff. Denn inzwischen stehen fast 100 Menschen mit Handyknipse um die Szene herum und versuchen eine prügelnde Noami mit Tasche und Giraffe ins Bild zu bekommen. Aber es stimmt, diese Details möchte der Zuhörer bestimmt nicht erfahren.

4. Der Leidende

Er hat Schlimmes erlebt und will, dass es jeder nachempfinden kann. Dabei durchlebt er sein Martyrium noch einmal mit dem ganzen Publikum. Da fließen dann Körperflüssigkeiten, die man niemals fließen sehen möchte, schon gar nicht in der eigenen Fantasie. Die Tränen des Redners sind real. Nach dem Vortrag möchte sein Publikum geschlossen Selbstmord begehen, solange es seinen Würgreflex noch unter Kontrolle hat.

5. Der Sprunghafte

Er scheint zu glauben, dass Geschichten viel interessanter werden, wenn man sie nicht zuende hört. Denn anders ist es gar nicht zu verstehen, warum er ständig von einer Geschichte zur nächsten springt. Da geht es seinem Hund ganz schlecht und er erinnert sich, dass er über dessen Rasse das erste Mal in einem Playboy-Artikel gelesen hat. Die Leute haben ja einen völlig falschen Eindruck von Männermagazinen. Außerdem gibt es ja auch Frauenmagazine. Er hat zum Beispiel mal in der Für Sie einen Artikel gelesen, wie Frauen Ihre Liebhaber glücklicher machen können. Da sei er selbst rot geworden. Rot ist ja auch eine Signalfarbe. Im Karneval in Rio ist deshalb rot nur für ganz bestimmte … Ach nein, das ist ja der Karneval in Réunion. Den kennen Sie nicht? Da müssen Sie unbedingt einmal hin, dort gibt es nämlich eine ganz besondere Sitte. Da fällt ihm doch glatt ein, dass er letztens mit einem Polizisten von der Sitte zu tun hatte und ihn gefragt hatte, warum das „Sitte“ heißt …

6. Der Langsame

Er zeichnet sich durch einen leicht schleppenden Tonfall aus. Tempowechsel in der Rede beherrscht er virtuos. Denn es geht immer noch etwas laaaaangsamer. Als Zuhörer muss man ihm allerdings zugestehen, dass eine Verfolgungsjagd, in der die Fahrer in Millisekunden reagieren, so eine ganz besondere Qualität bekommt. Wenn sich 30 Sekunden Realzeit über eine 45-Minuten-Rede strecken. Da verpasst man beim Gähnen wenigstens nichts.

7. Der Na-Sie wissen schon-Typ

Er kennt seine Geschichte bestimmt sehr gut. Allerdings scheint er das auch vom Publikum zu glauben. Letztens saß er mit seiner Frau im Auto und da hatte sie diesen Blick. Na, Sie wissen schon! Da brauchte er gar nicht darauf warten, was ganz unweigerlich passieren würde. Aber wissen Sie was? Er geht dann einfach. Er springt aus dem Auto. Das hätte er dann doch lieber bleiben lassen. Na, Sie wissen schon. Also ist er gleich wieder rein. Seine Frau denkt, Sie hat gewonnen und gibt ihm dieses miese Gefühl. Na, Sie wissen schon! Da bleibt Dir manchmal nichts anderes übrig, als … den Mann von der Bühne zu buhen.

Sieben Erzähler ein Zuhause

Alle diese Erzähler finden wir auch in uns selbst. Es sind die Extreme, die in Maßen einen guten Geschichtenerzähler ausmachen. Deshalb weiß ich mit absoluter Sicherheit, wenn ich eine schlecht erzählte Geschichte höre, dass genau der gleiche Redner sein Publikum auch in seinen Bann schlagen könnte. Der Schlüssel ist wie bei allem im Reden das Publikum. Es geht nicht darum, was wir erzählen müssen, sondern was mein Publikum hören muss. Seine Bedürfnisse bestimmen, wie wir unsere Geschichte erzählen, was wir weglassen, verdichten, aktiv vorspielen, beschleunigen, verlangsamen und wo wir Spannungspunkte setzen, indem wie unsere Geschichte für einen Einschub pausieren lassen. Wer das beherzigt, wird die Liebe seines Publikums erleben. Das ist das magische an einer gut erzählten Geschichte. Mehr zum Thema: Geschichten sind nie langweilig

*Die Geschichte ist leider frei erfunden.
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