Zu früh geredet
Bombastische Musik und eine gute produzierte Eigenwerbung des Veranstalters machen Appetit auf die gleich startende Veranstaltung. Die Dramaturgie will es, dass eine gespannt Stille eintritt. Aber die Moderatorin nicht.
Deshalb spricht sie schon lange bevor sie auf der Bühne zu sehen ist. Vielleicht will sie damit dynamisch wirken. Bei mir kommt stattdessen an „Die hat’s aber eilig!“. Ich kenne das teilweise von meinen Toastmasterkollegen bei ihren ersten Redeprojekten. Die Stille will gefüllt werden!
Meine Überraschung wächst, als die kommenden 5 Redner alle dem Beispiel der Moderatorin folgen. Vielleicht haben sie das ja im Referenten-Vertrag unterschrieben? „Ich verpflichtete mich, unter Vernachlässigung meiner eigenen Gesundheit und Reputation auf die Bühne zu springen und zwischen Absprung und Landung bereits meine ersten fünf Sätze gesprochen zu haben …“
Für mich ist das die einzig nachvollziehbare Erklärung. Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Stille ist das stärkste Stilmittel, das ein Redner zu Verfügung hat. Gerade am Anfang unserer Rede sollten wir es nicht ohne Not herschenken. Ich kann natürlich verstehen, dass der Feuerwehrmann nicht erst eine 10 Sekunden-Stille wirken lässt, bevor er „Feuer“ ruft und die Leute aus dem Saal schickt.
Aber der Beginn unserer Rede ist keine Notsituation. Stattdessen ist es ein Moment, in dem wir das Privileg genießen dürfen, vor einem gespannten Publikum zu stehen.
Es gibt sogar eine wissenschaftliche Begründung dafür, warum wir lieber etwas warten sollten. Unser Publikum braucht mindestens 4 Sekunden, bevor es uns bewusst zuhören kann. Fangen wir vorher an, sollten unsere Worte lieber unwichtig sein. Aber warum sollten wir sie dann überhaupt sagen?