Bewegende Redner sind keine Helden

Redner von untenDie größte und wichtigste Gabe eines Redners ist es, seine Zuhörer zu bewegen. Doch viele schlüpfen in eine falsche Rolle. Das kostet sie alles.

Der Raum ist brechend voll. Erwartungsvoll warten die Menschen auf den Redner. Eine kurze Einführung durch eine junge Frau und er stürmt auf die Bühne. Applaus!

Der Unantastbare

Dann legt er los. Er beginnt mit einer Geschichte über sich selbst. Er kommt von ganz unten und sein Leben ist eine einzige Überholspur. Nichts konnte ihn davon abhalten, bis in den Olymp des Erfolgs vorzustoßen. Pleiten, Pech und Pannen? Gibt’s bei ihm nicht. Denn das lässt er einfach nicht zu. Wow! Was für eine Erfolgsgeschichte!

Endlich erleben wir einen vom Schicksal Auserwählten live. Zu Recht ist der Mann von sich selbst begeistert. Doch je länger der Erfolgsbolide auf sein Publikum einredet, desto weniger erreicht er es. Ja! Jeder möchte gerne so erfolgreich sein, wie der Mann auf der Bühne. Nein! Auch wir wollen keine Rückschläge erleben. Ja! Wir wollen unser Geburtsrecht auf Erfolg einfordern. Wow! Kann der Mann reden!

Die Verlierer

Die Sache hat einen Schönheitsfehler. Der Mann auf der Bühne ist ein Ausnahmeexemplar. Wir Zuschauer sind dagegen ganz normal. Auch wenn wir uns für ein paar kurze Momente von dem Motivator aufblasen lassen. Die heiße Luft entweicht schneller als wir sie zuvor aufgenommen haben. Wir identifizieren uns nicht mit dem Standbild aus Erfolgsgranit. Wir sind normal. Lass den mal reden. Er kann das vielleicht. Wir müssen mit dem auskommen, was uns gegeben wurde.

Ab diesem Moment hat der Redner verloren.

 

Denn das polierte Ego eines Superredners ist zu fern von der Realität seines Publikums. Keiner von uns ist perfekt und wird es auch niemals sein.

Von Nancy Duarte und ihrem Buch resonate! habe ich gelernt, dass Vorträge ähnliche Rollen enthalten, wie ein Schauspiel. Auch bei einem Vortrag gibt es Helden, es gibt Gegenspieler, Verbündete, Mentoren und Statisten.

Die falsche Rolle

Gerade sog. Motivations-Redner unterliegen häufig dem Irrtum, dass sie sich selbst als Beispiel für ihr Publikum darstellen müssen. Das ist nachvollziehbar. Wie könnte ich über Erfolg sprechen, wenn ich ihn nicht selbst schon gehabt hätte? Allerdings wirft das die Rollenverteilung einer Rede über den Haufen. Denn ein Held ist ein Held. Wie könnten wir da mithalten? Wir können seine Ratschläge nicht umsetzen. Denn wir sind keine Helden. Das lässt er uns auch spüren. Es kann nur einen Star geben und der redet gerade auf der Bühne.

Welche Rolle übernimmt das Publikum, wenn der Redner ein Held ist? Ein Mentor ist es in der Regel nicht. Wobei ich auch schon erlebt habe, wie ein Publikum anfing, dem Redner gute Ratschläge zu geben.

Oft lehnt sich unser Publikum einfach zurück, Arme gekreuzt, Beine übereinandergeschlagen und wird zum Statisten, zum unbeteiligten Zuschauer. Denn was sollen wir uns beteiligen, wenn wir ohnehin nie so sein werden, wie der Held auf der Bühne? Seine Ratschläge sind für andere Helden gut, aber nicht für uns. Der unbeteiligte Zuschauer ist der Totengräber jedes Vortrags. Denn damit ist garantiert, dass er nichts bewegen wird. Der Vortrag war reine Zeitverschwendung für Publikum und Redner.

Jede gute Geschichte hat allerdings neben dem Helden auch einen Gegenspieler. Normalerweise definiert sich die Größe des Helden durch die Boshaftigkeit und Intelligenz seines Feindes. Wenn der Redner der Held ist, schlüpft so manches Publikum auch in die Rolle des Gegenspielers. Je größer sich dann der Held aufplustert, desto heftiger die Gegenwehr der Zuschauer. Das ist allerdings ein Spiel, das kein Redner gewinnen kann.

Die richtige Rolle

Redner und Publikum gehören auf die gleiche Seite. Wie könnten wir dann die Rollen verteilen? Wir wollen, dass unser Publikum begeistert dabei ist, mitdenkt und sich wann immer möglich beteiligt. Das Publikum spielt also die Hauptrolle. Das Publikum ist somit der Held!

Welche Rolle sollen wir dann als Redner übernehmen? Denken wir an eine normale Geschichte, merken wir, dass der Held in der Regel einsam ist. Kein anderer hat den Mut und die Fähigkeiten, mit den Schwierigkeiten fertig zu werden, die das Schicksal für ihn bereit hält. Selbst seine Mitstreiter sind gerne einmal anderer Meinung, denn sie sind ja keine Helden. Helden müssen Regeln brechen. Daher hören sie lieber auf sich selbst als auf andere.

Auf eine Person trifft das allerdings nicht zu. Diese Person ist kein Held. Sie ist nicht stark. Sie hat ausschließlich wohlmeinende Interessen. In jeder Geschichte gibt es einen Mentoren, der dem Helden seine Optionen vor Augen führt, ihm klar macht, was auf dem Spiel steht und ihn an die Schwelle einer Entscheidung führt. Jeder Held hat seinen Mentor.

Wenn wir genau darüber nachdenken, dann sind wir Redner von der Natur dazu bestimmt, Mentoren zu sein. Unser Publikum ist der Held. Wir bringen es an die Schwelle einer Entscheidung. Mentoren sind keine Superhelden. Sie sind Menschen wie Du und ich. In vielen Geschichten stellt eine gar nicht heldenhafte Persönlichkeit, wie ein Hirtenjunge, eine alte Frau oder ein Blinder dem Helden einfach nur die richtigen Fragen.

Normal ist gut

Als Redner sollten wir Menschen zum Anfassen wie Du und ich sein. Wenn wir unsere eigenen Erfolge zum Thema machen, dann erzählen wir vom Kampf des Normalos, der viele Rückschlage hingenommen hat, weil er normal ist. Aber Hingabe und Biss haben uns dorthin gebracht, wo wir heute stehen und es gibt keinen Grund, warum andere normale Menschen das nicht auch schaffen sollten.

So könnte eine Motivationsrede funktionieren. Aber auch wenn es nur um Informationen geht, lohnt es sich, das Publikum zum Helden zu machen.

Ich stelle oft fest, dass manch einer von seinem Zahlenmaterial so begeistert ist, dass er unbedingt anderen die Intelligenz darin zeigen möchte. Die Frage ist nur, machen wir damit unser Publikum zum Helden oder die Zahlen? Fragen wir uns doch lieber, was der Held aus unserem Vortrag mitnehmen sollte, damit er seiner Aufgabe gerecht wird. Oft sollen Zahlen nur überzeugen. Wir müssen daher nicht in die fruchtlosen Tiefen vordringen. Stattdessen konzentrieren wir uns auf einige plakative Aussagen, die sich jeder merken kann.

Meine plakative Aussage für heute ist einfach. Mache Dein Publikum zum Helden. Diese Rolle hat jeder gerne. Es ist die Hauptrolle. Helden sind außerdem dankbar. Vielleicht so dankbar, dass sie ihrem Mentor stehend applaudieren.

Aber deshalb hat der Mentor es natürlich nicht gemacht. 😉

9 Kommentare
  1. Ulla Schneider
    Ulla Schneider sagte:

    Toller Beitrag!
    Ganz herzlichen Dank!
    Ich habe gelernt, wie sehr man das Publikum mit „Storytelling“ fesseln kann, jetzt wird es noch – wohlverdient – zum Helden!
    Hoffentlich habe ich eine Eingebung für meinen nächsten Vortrag 🙂
    Ulla Schneider

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